Es war noch sehr früh am Morgen, als ich mein Hostel in Vancouver verlassen musste, da mein Bus um 07:30 in Richtung Seattle abfahren sollte. Nach etwa einer halben Stunde erreichte ich den Busbahnhof leicht nass vom Regen und übermüdet von der kurzen Nacht. Nach kurzem Warten und der Kontrolle der nötigen Einreisedokumente für die USA ging es pünktlich los. Ich blickte Vancouver und den immer kleiner werdenden Hochhäusern noch etwas länger hinterher und war bald mit meinen Gedanken beim Grenzübertritt in die USA.
Auch wenn es eigentlich keinen Grund dafür gab, Angst davor zu haben, hatte ich dennoch ein mulmiges Gefühl. An der Grenze angekommen, verließen wir den Bus und stellten uns vor dem Grenzbeamten an. Nachdem mit einem kritischen Blick mein Reisepass betrachtet und mir mit schlechter Laune einige Fragen gestellt wurden, genehmigte er mir die Einreise und ich erhielt einen Stempel. Zurück im Bus erreichten wir nach einigen Stunden die Haltestelle in Seattle, welche in der Nähe meines neuen Hostels lag. Der Weg dorthin war deshalb nicht weit, dennoch lang genug, um mir zu zeigen, dass Obdachlosigkeit hier ein noch größeres Problem ist. Ich war froh, dass ich mit dem Hostel und den dortigen Räumlichkeiten Glück hatte und zog mich erschöpft in mein Zimmer zurück. Zusammenfassend war ich etwas enttäuscht über meinen ersten Eindruck der USA, doch das Schicksal sollte dies noch am gleichen Nachmittag ändern.
Während ich allein im Hostel Zimmer auf meinem Bett lag und die ersten Eindrücke verarbeitete, ging die Tür auf und ein älterer Herr betrat das Zimmer. Im ersten Augenblick war ich etwas verwundert, warum er denn im Hostel schlafen würde, und enttäuscht darüber, scheinbar keine Mitbewohner in meinem Alter zu bekommen. Im Nachhinein sollte ich diese Gedanken noch sehr bereuen, doch dies konnte ich in diesem Augenblick nicht wissen. Sein Name ist Charles und er ist ein pensionierter Lehrer, der aufgrund von Lehrermangel regelmäßig nach Seattle zurückkehrt, um dort auszuhelfen. Er erzählte mir, dass er viele Jahre hier gewohnt hat und nun auf einer wunderschönen Insel nahe Vancouver Island lebt. Wir redeten eine Weile und er bot mir an, eine kleine Seattle Rundfahrt zu geben. Ich musste natürlich kurz darüber nachdenken, ob es wirklich eine gute Idee sei, mit jemand völlig fremden in einem komplett neuen Land allein unterwegs zu sein. Mit einem guten Gewissen und einem Gefühl von Sicherheit stimmte ich dem jedoch zu.
Mit seinem Auto fuhren wir zu einem alten Wasserturm, den man kostenlos hinaufsteigen durfte. Nachdem wir oben (etwas aus der Puste) angelangt waren, hatten wir einen ersten guten Blick über Seattle und die Space Needle. Anschließend ging unsere Tour weiter zur University of Washington. Mit über 50 000 Studierenden gehört diese zu einer der Größten des Landes und aufgrund der Bauwerke, die zum Teil aus dem 19. Jahrhundert stammen, wohl auch zu einer der Schönsten. Wir spazierten etwas über den Campus und Charles berichtete mir, dass seine beiden Kinder auch hier studiert haben. Abschließend zeigte er mir noch seinen Lieblingsplatz, welcher sich in der Bibliothek befand. Es war ein großer Raum, ähnlich wie die große Halle in Harry Potter, in dem an den Seiten Bücherregale und in der Mitte viele lange Tische stehen. Das Besondere daran war, dass die Bücher nicht sortiert sind und keiner weiß, welches Buch an welcher Stelle steht. Besonders beeindruckend war auch das Football Stadion der Universität, welches insgesamt 72 500 Plätze hat und damit so groß ist, wie die größten deutschen Fußballstadien.
Auf dem Rückweg ins Hostel machten wir einen letzten Halt am Kerry Park. Dies ist der wohl beste Aussichtspunkt in ganz Seattle, da man von dort über die ganze Stadt und auf die Space Needle blicken kann und an guten Tagen sogar die Berge im Hintergrund sieht. Es war ein wirklich beeindruckender Blick und ich beschloss, in den folgenden Tage diesen Ort noch einmal zu besuchen. Gemeinsam gingen wir dann nahe des Hostels zum Essen. Mein erster gewonnener Eindruck von Amerika hatte sich nun aufgrund der Begegnung und Bekanntschaft mit Charles vollständig gewandelt.
Erschöpft von den vielen Aktivitäten und Ausflügen der vergangenen Tage brauchte ich nun erstmal eine Pause. Aus diesem Grund nahm ich mir an den folgenden zwei Tage etwas Zeit, meine Wäsche zu waschen, mich etwas gesünder zu ernähren, am Blog zu arbeiten und durch kleine Spaziergänge weitere Eindrücke von der Stadt zu bekommen. Vielleicht mag es etwas absurd klingen, eine Pause vom Reisen zu brauchen. Ich habe jedoch gemerkt, wie wichtig es ist, auch mal einen ruhigen Tag zu haben, um kleinere Dinge zu erledigen und das Gesehene zu verarbeiten. Den dritten Abend in Seattle verbrachte ich dann noch einmal mit Charles. Wir gingen essen und führten, wie bei unserem 1. Ausflug, lange und lustige Gespräche.
Ausgeruht und gestärkt startete ich am nächsten Morgen in die Stadt, um eine große Tour zu unternehmen. Mein erster Anlaufpunkt war einer der ersten Stadtteile von Seattle, welcher viele Cafés und Restaurants in alten Gebäuden beherbergt. Auf dem Weg dorthin kam ich am Smith Tower vorbei, einem schönen alten Hochhaus, auf dessen Dachterrasse Charles vor vielen Jahren geheiratet hatte. Ich lief durch die Straßen, warf immer mal wieder einen Blick in die Läden und erfreute mich an den vielen Blühten und Blumen. Danach lief ich am Wasser entlang, schaute durch einige Souvenirläden und kam unteranderem am Pier 57 vorbei, auf welchem ein großes Riesenrad steht. Es handelt sich dabei um ein gewöhnliches Riesenrad, jedoch war der Anblick dennoch sehr besonders, da dieses auf einer Art Seebrücke stand. Einen ähnlichen Anblick werde ich hoffentlich in einigen Wochen in Los Angeles haben, wenn ich dort das berühmte Santa Monica Pier besuche.
Nach längerer Zeit am Wasser lief ich wieder stadteinwärts, um zum Pike Place Market zu gelangen. Auf dem Weg dorthin kam ich durch Zufall an der wohl ekligsten Attraktion in Seattle vorbei, der Gum Wall. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich dabei um eine bzw. mittlerweile mehrere große Wände die voll mit Kaugummis geklebt sind. Das einzige wirklich Sehenswerte daran war die schier unendliche Anzahl an Kaugummis, die sich dort über viele Jahre angesammelt hat.
Zeitnah stieg ich von dort die letzten Stufen zum Pike Place Market hinauf, welcher zu den größten Attraktionen der Stadt gehört. Neben frischem Fisch und anderen Meerestieren gibt es dort auch Backwaren, Dekoartikel, Klamotten, Schmuck, Bilder und vieles mehr. Ebenfalls befindet sich dort die weltweit erste von mittlerweile fast 34 000 Starbucks Filialen aus dem Jahr 1912. Nachdem ich mich einige Zeit dort umgesehen und eine Käsebrezel gegessen hatte, machte ich mich als Tagesabschluss auf den Weg, um die Space Needle einmal aus der Nähe zu sehen. Es war ein beindruckender Anblick und ich musste an einige Filme und Serien denken, aus denen ich dieses besondere Gebäude bereits kenne.
Meinen vorletzten Tag in Seattle verbrachte ich zum größten Teil im Museum of flight, welches auf meiner Seattle Liste ganz oben stand. Im Museum selbst befindet sich eine kleine Ausstellung zur Geschichte und den bedeutendsten Errungenschaften der Raumfahrt sowie die Geschichte des Flugzeugbaus und die Entwicklung des Flugverkehrs. Dabei reichte das Spektrum von der Gründung von Boeing, dem größten amerikanischen Flugzeugbauer, über die Rolle von Flugzeugen im 1. und 2. Weltkrieg hin zu den großen Passagierflugzeugen von heute. Mit sehr vielen Exponaten und auch Modellen wurde alles anschaulich und ausführlich erklärt, sodass man einige mal dort hingehen müsste, um alles zu sehen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich eine große überdachte Fläche, auf der historisch relevante Flugzeuge stehen. So ist dort eine von 20 Concorde die je gebaut wurden, eine ehemalige Air Force One mit der auch John F. Kennedy zu wichtigen politischen Treffen gereist ist sowie die erste von über 1500 jemals gebauten Boing 747. Direkt neben dem Pavillon steht noch ein Gebäude, welches ein nachgebautes Space Shuttle beherbergt, das zu Trainingszwecken genutzt wurde. Es war sogar möglich, in den geöffneten Transportbereich hineinzulaufen und so konnte man sich in etwa vorstellen, welchen Blick die Space Shuttle Astronauten auf die Erde gehabt haben müssen. Insgesamt war ich sehr beeindruckt vom Museum. Sollte ich irgendwann mal nach Seattle zurückkehren, werde ich dem Museum sicher einen zweiten Besuch abstatten. Im Anschluss fuhr ich noch einmal zum Kerry Park, um die dortige Aussicht auch bei hellem Tageslicht gesehen zu haben.
Die Woche in Seattle verging wie im Flug und so war auch hier mein letzter Tag angebrochen. Für diesen hatte ich geplant, erneut zur University of Washington zu fahren, um mich dort etwas genauer umzuschauen. Es ist ein wunderschöner Campus mit einem perfekten Zusammenspiel aus modernen und historischen Gebäuden. Quer über das Gelände zieht sich zudem ein Grünstreifen mit kleinen Parks, Wegen und einem großen Springbrunnen. Vom Campus sind es nur wenige Minuten zu Fuß, um zum University Village zu gelangen. Dies ist ein großes Gelände mit vielen Restaurants und Geschäften. Da es Wochenende und das Wetter sonnig und warm war, schlenderten viele Studenten und Familien durch die Gassen und Straßen. Es herrschte eine sehr gute Stimmung. Am Abend machte ich mich dann mit meinem dänischen Zimmerpartner auf, um einen beliebten Bubble Tea Laden nahe des Hostels zu testen. Da ich zuvor noch nie Bubble Tea getrunken hatte, war ich gespannt und wurde auch nicht enttäuscht.
Mit der Busfahrt in Richtung Portland endete am nächsten Morgen meine Zeit in Seattle. Ich habe viele schöne Orte gesehen, viele neue Menschen kennengelernt und einen guten ersten Eindruck von der USA bekommen. Gespannt dachte ich auf der Busfahrt darüber nach, wer oder was in den nächsten Stationen meiner Reise auf mich wartet und was ich in Portland gerne sehen möchte.
Zusätzliche Bilder zu meiner Zeit in Seattle sind wieder in der Bildergalerie zu finden.
Orte in Seattle, die man gesehen haben muss:
Die Aussicht vom Kerry Park
University of Washington mit University Village
Pike Place Market
Space Needle
The Museum of Flight
Kommentare